Hydroponik im urbanen Raum

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01. September 2025 | Sören Schölecke

Hydroponik im urbanen Raum

Gegenüberstellung zweier Bilder: Hydroponik als Schema und in der Realität auf dem GreenSpace des ViNN:Lab
FG Inno

 

Nachhaltige Anbaumethoden im Greenspace der TH Wildau


In Zeiten von Klimawandel, zunehmender Urbanisierung und wachsendem Interesse an regionaler Selbstversorgung gewinnen innovative Anbaumethoden immer mehr an Bedeutung – insbesondere im städtischen Raum. Auch im Greenspace, der Dachterrasse von Haus 16 der TH Wildau, wird mit solchen Ansätzen experimentiert. Neben klassischen Hochbeeten mit Erde, Zier- und Gemüsepflanzen werden zunehmend auch alternative Konzepte wie Hydroponik erprobt.
Ein besonderes Projekt in diesem Sommer: ein passives, stromloses „Raingutter-System“ für den urbanen Gemüseanbau.

 

Was ist Hydroponik?


Hydroponik bezeichnet den Anbau von Pflanzen in einer nährstoffreichen Wasserlösung ohne Erde. Die Wurzeln wachsen dabei entweder direkt in der Lösung oder in einem neutralen, inerten Substrat wie Perlite, Steinwolle oder Kokosfaser. Ziel ist es, Pflanzen effizient mit Wasser, Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen – ganz ohne den Einsatz von Erde.


Technischer Hinweis: Der Anbau in Kokossubstrat (z. B. mit Perlite gemischt) zählt zur sogenannten substratgestützten Hydroponik. Genau genommen ist das laut enger Definition keine „echte“ Hydroponik, da Kokosfaser nicht vollständig inert ist. Kokosfaser kann geringe Mengen an Nährstoffen aufnehmen oder abgeben. Trotzdem wird dieses Verfahren in der Praxis zur Hydroponik gezählt, weil die Pflanzen nicht über Bodenprozesse versorgt werden, sondern ausschließlich über eine gezielt gesteuerte Nährlösung. Wegen ihrer fast neutralen Eigenschaften und guten Wasserspeicherung ist Kokosfaser besonders beliebt und wird auch in vielen professionellen Gewächshäusern verwendet.

 

Das Raingutter-System auf dem Dach der TH Wildau


Da für den ursprünglich geplanten Aufbau eines NFT-Systems (Nutrient Film Technique) die Stromversorgung nicht ausreichte , wurde auf eine passive Variante umgestellt. Das Ergebnis ist ein sogenanntes Raingutter-System:


Aufbau: Verwendet wurden rechteckige Lüftungsrohre (alternativ Regenrinnen, daher „Raingutter-System“) aus dem Baumarkt, auf denen Pflanztöpfe mit Netzeinsätzen stehen. Die Netze reichen in die Rohre hinein, die mit Nährstofflösung gefüllt sind.


Substrat: Eine Mischung aus 70 % Kokosfaser und 30 % Perlite sorgt für gute Durchlüftung und hohe Wasserspeicherkapazität. Das ist besonders vorteilhaft auf Dächern, da das Substrat viel leichter ist als herkömmliche Erde – was die statische Belastung erheblich reduziert.


Wasserversorgung: Die Rohre sind an ein 120-Liter-Fass angeschlossen. Der Füllstand in den Rohren wird durch ein Schwimmerventil reguliert. Es sind keine Pumpen notwendig.


Aktuelle Bepflanzung: San Marzano Tomaten, Glockenpaprika, violette Chili und Yolo Wonder Paprika.


Düngung: Verwendet wird ein 3-Komponenten-Dünger, der eine flexible Nährstoffversorgung je nach Wachstums- oder Blütephase ermöglicht. Der pH-Wert wird mit 17 %iger Salzsäure (HCl) auf etwa 6 eingestellt.


EC-Wert: Der elektrische Leitwert (EC) der Nährlösung wird regelmäßig gemessen und an die jeweilige Wachstumsphase angepasst. Ein höherer EC-Wert bedeutet mehr gelöste Nährsalze. So erhalten die Pflanzen genau die Menge an Dünger, die sie brauchen – nicht zu viel und nicht zu wenig.


3D-Druck-Komponenten: Adapter und Rohrverbindungen wurden im ViNN:Lab selbst entworfen und gefertigt.


Durch die passive Konstruktion ist das System stromlos und damit ideal für Orte ohne Steckdose – wie eben eine heiße Dachterrasse ohne zuverlässige Energiequelle.

 

Warum EC-Wert und 3-Komponenten-Dünger?


Der EC-Wert (electrical conductivity) misst die Leitfähigkeit der Nährlösung – also wie viele Salze (Nährstoffe) darin gelöst sind. Er ist ein direktes Maß für die Konzentration der Düngung. Zu niedrige Werte führen zu Mangelerscheinungen, zu hohe zu Wurzelverbrennungen. Durch die Anpassung des EC-Werts an die jeweilige Phase (z. B. vegetatives Wachstum oder Blüte) kann die Pflanze gezielt versorgt werden.
Ein 3-Komponenten-Dünger besteht meist aus getrennten Nährstofflösungen (z. B. Basis A, Basis B, und ein Blüte- oder Zusatzkomplex), die individuell dosiert werden können. Das erlaubt eine präzise Steuerung der Nährstoffverhältnisse und verhindert chemische Reaktionen oder Ausfällungen in der Stammlösung – ein Konzept, das aus der professionellen Gewächshaustechnik stammt und sich besonders für hydroponische Systeme bewährt hat.

 

Vorteile im urbanen Raum


Hydroponische Systeme wie das Raingutter-System bringen gerade in Städten viele Vorteile:


Wassereffizienz: Statt großflächiger Verdunstung wie beim Gießen wird das Wasser gezielt zugeführt und bleibt im Kreislauf. Besonders in heißen Sommern und bei Wasserknappheit ein klarer Pluspunkt.
Platzersparnis & Modularität: Durch geschickte vertikale Anordnung lassen sich selbst kleine Flächen intensiv nutzen (→ Vertical Farming).
Geringe Dachlast: Kokossubstrat ist deutlich leichter als Erde – ein wichtiger Faktor für Gebäude mit begrenzter Traglast.
Weniger Schädlingsdruck: Der Verzicht auf Erde reduziert das Risiko von bodenbürtigen Krankheiten und Schädlingen.
Planbarkeit & Kontrolle: Nährstoffversorgung, pH-Wert und EC-Wert lassen sich genau steuern. Perspektivisch können Sensoren für pH, EC und Temperatur helfen, die Bedingungen kontinuierlich zu überwachen.

 

Indoor & Zukunftsperspektiven


Hydroponische Systeme eignen sich auch hervorragend für den Indoor-Anbau. Mit LED-Pflanzenlampen und kompakten Modulsystemen lassen sich Salate oder Kräuter direkt in der Küche ziehen. In Städten ohne Zugang zu Gartenflächen kann dies eine nachhaltige, platzsparende und ressourcenschonende Alternative sein.
Langfristig sollen auf dem Dach der TH Wildau weitere Varianten getestet werden – etwa ein erweitertes passives System mit automatisierter Sensorik oder eine verbesserte Integration mit einer Solaranlage.

 

Fazit


Das Raingutter-System ist ein vielversprechender Ansatz für den ressourcenschonenden Pflanzenanbau im städtischen Raum – stromlos, effizient und leichtgewichtig. Auch wenn der Anbau in Kokossubstrat technisch nicht als reine Hydroponik gilt, funktioniert er nach denselben Prinzipien: Nährstoffe werden gezielt zugeführt, Wasser wird effizient genutzt, und die Pflanzenentwicklung ist präzise steuerbar.
In Kombination mit innovativen DIY-Lösungen aus dem Makerspace und dem Einsatz moderner Sensorik zeigt sich: Urbane Landwirtschaft kann auch ohne große Technik nachhaltig, kreativ und praxisnah gestaltet werden.